I. Verpasste Flüge und Verantwortlichkeiten
Bei verpassten Flügen stellt sich immer wieder die Frage nach der Verantwortlichkeit der Fluglinie, des Flughafenbetreibers und der BRD (Luftsicherheitsbehörde, Grenzschutz) als Verantwortliche für die Sicherheits- und Passkontrolle. Erst letzten Sommer zeigten sich an vielen Flughäfen chaotische Zustände wegen langer Wartezeiten an den Sicherheitskontrollen. Dabei spielt die Abgrenzung der verschiedenen Verantwortungsbereiche sowie auch das eigene Verhalten des Fluggastes und die Einhaltung eines angemessenen „Zeitpuffer“ eine entscheidende Rolle für die Frage, wer für den dadurch entstandenen Schaden aufkommt.
Der BGH entschied nun mit Urteil vom 08.12.2022 (Az.: III ZR 204/21), dass den Fluggast insoweit Verantwortung trifft als dass er einen ausreichenden Zeitpuffer vor Abflug einplant. Zudem darf er sich nicht auf die ständige Betriebsbereitschaft automatisierter Grenzkontrollen verlassen und muss sich über die Nutzungsmodalitäten informieren, wenn er dieses nutzen möchte. Er darf sich dabei nicht auf offensichtlich nicht abschließende Hinweise des Flughafenbetreibers auf dessen Webseite verlassen.
II. Entscheidung des BGH: Fluggast trägt Sorge für Einhaltung des „Zeitpuffers“
1. Sachverhalt: Fluggast zu spät und nicht ausreichend informiert
Der Kläger verpasste mit seiner Familie den gebuchten Flug und nahm die Betreiberin des Flughafens auf Schadensersatz in Anspruch. Er rügte die mangelhafte Organisation, die zu lange Passkontrolle und fehlerhafte, lückenhafte Hinweise auf die letztlich nicht mögliche beschleunigte Passabfertigung über das automatisierte Grenzkontrollsystem EasyPASS.
In den beiden ersten Instanzen hatte die Klage keinen Erfolg. Der Einwand, dass der Kläger bei vollständigen Hinweisen nicht auf die schnelle Passkontrolle durch das o.g. System vertraut und sich gleich an der normalen Warteschlange angestellt hätte, griff nicht durch.
Der BGH hat nun diese Entscheidungen im Kern bestätigt.
2. Rechtliche Begründung: Geteilte Verantwortlichkeiten
Eine Pflichtverletzung der Beklagten aus einem Fluggastabfertigungsvertrag sieht er nicht. Für die hoheitlich vorzunehmenden Sicherheits- und Passkontrollen sei ausschließlich die BRD, ggf. über beliehene Sicherheitsfirmen verantwortlich. Die Flughafenbetreiberin könne auf diese Abläufe keinerlei Einfluss nehmen. Damit können auch Verzögerungen und andere Pflichtverstöße in diesen Bereichen nicht der Flughafenbetreiberin zugerechnet werden. Ein gegen sie gerichteter Schadensersatzanspruch ist damit ausgeschlossen.
Die Flughafenbetreiberin sei nur verantwortlich für die Zuführung der Fluggäste zu diesen Kontrollen. Eine solche Pflichtverletzung bei der Organisation der Wartebereiche sei vorliegend nicht ersichtlich.
Wenn Fluggäste die Zeit am Flughafen verbummeln bis sie sich an den Sicherheitskontrollen anstellen, könne ebenfalls nicht zu Lasten der Flughafenbetreiberin gehen.
Der Kläger hätte sich auf der Homepage über die Nutzungsvoraussetzungen des EasyPASS-Systems informieren können. Er habe auf einen ausreichenden und erforderlichen „Zeitpuffer“ (zwei bis drei Stunden vor Abflug) verzichtet.
Aus selben Gründen scheidet nach Ansicht des BGH auch ein Schadensersatzanspruch gegenüber der BRD aus. Bei Nicht-Einhaltung des empfohlenen „Zeitpuffers“ scheide per se jeder Amts- und Staatshaftungsanspruch aus.
Bereits in früheren Entscheidungen hat der BGH auf die rechtzeitige, frühzeitige Ankunft für die Sicherheits- und Passkontrolle abgestellt (BGH, Beschl. v. 14.12.2017 – III ZR 48/17). Jedoch wird auch die grundsätzliche Organisationspflicht der BRD für effektive und zeitlich angemessene Kontrollen hervorgehoben (OLG Frankfurt, Urt. v. 27.01.2022 – 1 U 220/20)
III. Auswirkungen für Fluggäste in der Praxis
Für Fluggäste gilt also, in jedem Fall den ausreichenden „Zeitpuffer“ am Flughafen einzuplanen und sich nicht nur auf die Informationen auf der Webseite des Flughafens zu verlassen.
Kommt es doch zum Verpassen des Fluges, ist besonderes Augenmerk auf die Wahl des richtigen Beklagten (Passivlegitimation) zu legen.
Denn es handelt sich um separate Verantwortungsbereiche. Eine (wechselseitige) Zurechnung zwischen Flughafenbetreiber und BRD findet nicht statt.
Eine Zurechnung findet nur insoweit statt, als die Sicherheitskontrolle – wie üblich – durch Beliehene (Sicherheitsfirma) durchgeführt wird. Für Fehler muss dann die „Beleihende“ (BRD) einstehen.