Bundessozialgericht schafft Klarheit: Krankenkassen stehen nicht über dem Gesetz
Zur 3-/5-wöchigen Entscheidungsfrist für Krankenkassen bei Anträgen Versicherter aus und einer aktuellen Entscheidung des Bundessozialgerichts:
Zur Debatte stand für das Bundessozialgericht erneut das Thema „Genehmigungsfiktion bei überschrittener Entscheidungsfrist“. Eigentlich verwunderlich, bedenkt man die klare und unmissverständliche gesetzliche Regelung (§ 13 Abs. 3a SGB V), die zusammengefasst lautet wie folgt:
Stellt ein Versicherter einen Leistungsantrag bei seiner Krankenkasse (z.B. Bewilligung einer Mutter-Kind-Kur, Versorgung mit medizinischem Cannabinol, Kostenübernahme einer Brustkorrektur und so weiter und so fort) hat die Krankenkasse nach Eingang des Antrages drei Wochen Zeit zu entscheiden, ob die beantragte Maßnahme bewilligt wird. Muss die Krankenkasse den Medizinischen Dienst (MDK) zu Rate ziehen, hat sie das unverzüglich dem Antragsteller mitzuteilen und erhält für diesen Fall insgesamt fünf Wochen um über den Antrag zu entscheiden. Sollte die Frist einmal aus gewichtigen Gründen nicht eingehalten werden können, hat die Krankenkasse dies dem Antragsteller schriftlich unter Angabe der Gründe und unter Angabe des Zeitpunkts der Entscheidung mitzuteilen.
Lässt die Krankenkasse die einschlägige Frist um nur einen Tag verstreichen, gilt die beantragte Leistung als genehmigt!!!!
So weit so gut und einfach. Leider waren deutsche Krankenkassen in der Vergangenheit (und sind es noch immer) trotz der klaren gesetzlichen Regelung äußerst erfinderisch, was Ausreden und Ausflüchte angeht und haben ihren Versicherten trotz Vorliegen aller Voraussetzungen die beantragte Maßnahme/die Kostenübernahme verweigert. Die drei häufigsten Einwendungen der Krankenkassen zeigen wir Ihnen im Folgenden auf:
- Beliebt war zunächst der Einwand der Krankenkassen, dass unter § 13 Abs. 3a SGB V nur die Beantragung solcher Leistungen fallen würde, die tatsächlich erforderlich seien. Das heißt im Klartext: Die Krankenkasse wollte eine fiktive Genehmigung nur für solche Maßnahmen gelten lassen, die sie ohnehin bewilligt hätte. Das dann die gesetzlich Regelung quasi nie Anwendung finden würde, hat das Bundessozialgericht zunächst klargestellt (Urteil vom 08.03.2016, Az. B 1 KR 25/15 R), dass es nur darauf ankommt, dass der Antragsteller die beantragte Maßnahme für erforderlich halten durfte (z.B. der langjährige und erfolglos austherapierte Schmerzpatient darf eine Behandlung mit medizinischem Cannabinol für erforderlich halten).
- In einem weiteren Schritt haben Krankenkassen begonnen, die Entstehung der fiktiven Bewilligungsbescheide zu akzeptieren, haben aber zeitgleich die Rücknahme des fiktiven Bescheides nach § 45 SGB X erklärt. Nach § 45 SGB X können begünstigende Bescheide zurückgenommen werden, wenn diese rechtswidrig sind. Seitens der Krankenkassen wurde sich dabei in den entsprechenden Fällen auf den erfinderischen Standpunkt gestellt, der fiktive Bescheid sei zwar rechtskräftig entstanden, könne aber zurückgenommen werden, da die beantragte Leistung medizinisch nicht erforderlich und der fiktive Bescheid somit rechtswidrig sei. Auch nach dieser Auffassung würde der § 13 Abs. 3a SGB V so gut wie immer ins Leere laufen. Daher nahm das Bundessozialgericht den Krankenkassen auch dahingehend mit seiner Entscheidung vom 08.03.2016 den Wind aus den Segeln und stellte fest, dass sich die Rechtmäßigkeit/Rechtswidrigkeit eines fiktiven Bescheides nach Entstehung nur nach den Voraussetzungen des § 13 Abs. 3a SGB V richtet. Für die Rechtmäßigkeit spielt es also keine Rolle, wenn die beantragte Leistung medizinisch nicht tatsächlich erforderlich war oder ist. Das wird nach Ablauf der Entscheidungsfrist nicht mehr geprüft. Insgesamt haben das Bundessozialgericht und zahlreiche Landessozialgerichte wiederholt darauf hingewiesen, dass es sich bei § 13 Abs. 3a SGB V (neben dem Zweck der Verfahrensbeschleunigung) um eine Sanktionsnorm handelt. Die betroffenen Krankenkassen sollten sich nach Verschleppung eines Antrages nicht im Nachhinein wieder aus der Verantwortung stehlen können.
Die Bundessozialgerichtsentscheidung vom März 2016 hat leider nicht dazu beigetragen, dass sämtliche Krankenkassen den Regelungszweck des § 13 Abs. 3a SGB V und die Rechte ihrer Versicherten anerkennen.
- Am vehementesten haben Krankenkassen in zahlreichen Fällen, die auch wir verhandelt haben, folgenden Standpunkt vertreten. Die Krankenkassen argumentieren vielfach, § 13 Abs. 3a SGB V und dessen Sanktionsgehalt sollten nach dem Willen des Gesetzgebers nur gelten, wenn die Entscheidungsfrist abgelaufen sei und der Versicherte sich die Leistung auf eigene Kosten beschafft hätte, bevor eine Entscheidung der Krankenkasse ergeht. Zunächst einmal enthält diese Auffassung unseres Erachtens eine klare Diskriminierung wirtschaftlich schwacher Versicherter gegenüber solchen Versicherten, die über das nötige Kleingeld verfügen. Noch spannender wird es, wenn man den Krankenkassen entgegengehalten hat, der Wortlaut des Gesetzes sei insofern eindeutig: „Erfolgt keine Mitteilung eines hinreichenden Grundes, gilt die Leistung nach Ablauf der Frist als genehmigt.“ Die Krankenkassen stellten sich dann einfach auf den Standpunkt, der Gesetzgeber hätte diesen Satz versehentlich missverständlich formuliert.
Mit alledem ist nun Schluss (zumindest nach der Rechtsprechung des BSG). Das Bundessozialgericht hat zuletzt das Urteil vom 11.07.2017 (Az.: B 1 KR 26/16 R) gefällt und klargestellt, dass es keinen Unterscheid macht, ob der Antragsteller Ersatz für die Kosten einer selbst beschafften Leistung oder die Bewilligung und Kostenübernahme einer noch nicht beschafften Leistung verlangt.
Mit Sicherheit wird es noch zahlreiche Fälle geben, in denen Krankenkassen versuchen werden, ihren Versicherten klar zu machen, dass ihnen auch nach Ablauf der Entscheidungsfrist die beantragte Maßnahme nicht zustünde. Bleiben Sie in diesem Fall stur und beharren Sie auf Ihr Recht!!!
Im Zweifelsfall helfen wir Ihnen gerne, Ihre Rechte und Ziele durchzusetzen. Kontaktieren Sie uns bei Fragen zu diesem oder ähnlichen Themen. Der Autor (Rechtsanwalt Knop) bearbeitet kanzleiintern neben dem Sozialrecht hauptsächlich Baurecht, Werkvertragsrecht, Verwaltungsrecht und Gesellschaftsrecht.