Die Berücksichtigung des Alters ist bei betriebsbedingten Kündigungen genau zu prüfen. Grundsätzlich gilt, dass mit steigendem Alter die Schutzbedürftigkeit des Arbeitnehmers zunimmt. Das BAG entschied mit Urteil vom 08.12.2022 jedoch anders. Wer nahe an der Rente ist, ist weniger schutzbedürftig.
Eine betriebsbedingte Kündigung liegt vor, wenn ein Arbeitnehmer, der durch das KSchG geschützt ist, (trotzdem) in rechtlich zulässiger Weise ordentlich gekündigt werden kann, falls dem Arbeitgeber wegen dringender betrieblicher Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers entgegenstehen, die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht möglich ist. In der Praxis werden betriebsbedingte Kündigungen oftmals im Falle der Schließung oder Auslagerung von Abteilungen, bei Maßnahmen der Umstrukturierung oder bei Betriebsstilllegungen (z. B. bei Insolvenz) ausgesprochen.
So war es im vorliegenden Fall. Geklagt hatte eine im Jahre 1957 geborene Arbeitnehmerin einer Insolvenzschuldnerin. Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens schloss der zum Insolvenzverwalter bestellte Beklagte mit dem Betriebsrat einen ersten Interessenausgleich mit Namensliste, der die Kündigung von 61 Arbeitnehmer vorsah. Als zu kündigende Arbeitnehmerin war die Klägerin in der Namensliste genannt.
Geringere Schutzbedürftigkeit bei Rentennähe
Sowohl das Arbeitsgericht als auch das Landesarbeitsgericht gaben den Anträgen der Klägerin statt. Die Revision des Beklagten vor dem BAG hatte jedoch Erfolg.
Nach der Auffassung des BAG ist das soziale Auswahlkriterium des Lebensalters ambivalent. Steigt das Lebensalter, nimmt die Schutzwürdigkeit des Arbeitnehmers zu. Kann dieser jedoch entweder spätestens innerhalb von zwei Jahren nach dem Ende des Arbeitsverhältnisses über ein Ersatzeinkommen in Form einer abschlagsfreien Rente wegen Alters verfügen oder verfügt bereits über ein solches, weil er eine abschlagsfreie Rente wegen Alters bezieht sinkt die Schutzwürdigkeit.
Das Auswahlkriterium „Lebensalter“ kann somit auch zum Nachteil des Arbeitnehmers verwendet werden.
Fazit: Kein Freifahrtschein für Arbeitgeber
Dies stellt in Zukunft allerdings keinen Freifahrtschein zur betriebsbedingten Kündigung bei Arbeitnehmern in Rentennähe dar. Gleichwohl bleibt weiterhin zu beachten, dass Arbeitgeber bei der Sozialauswahl weitere Kriterien wie Betriebszugehörigkeit und Unterhaltspflichten des Arbeitnehmers ausreichend zu berücksichtigen haben.